Offener Brief an die Bischöfe Deutschlands, Österreichs, Luxemburgs und Süd-Tirols:

Brüssel, 19. April 2021

Exzellenz, hochwürdigster Herr Bischof,

das EU-Parlament in Brüssel bereitet eine Entschließung für ein „Grundrecht auf Abtreibung“ vor. Die Abstimmung im federführenden Ausschuss für die Rechte der Frauen und die Gleichstellung der Geschlechter ist für den 10. Mai 2021 vorgesehen. Die Problematik ist gewiss nicht neu. Aber sie ist heute leider so akut, dass ich mir erlaube, Ihnen diese Information zu schicken mit der Bitte, tätig zu werden.

Bereits zwischen 2012 und 2014 versuchten Abgeordnete des EU-Parlaments unter Führung der portugiesischen Sozialdemokratin Edite Estrela, eine Entschließung des EU-Parlaments zur „sexuellen und reproduktiven Gesundheit“ von Frauen in der EU zu verabschieden. Mitauslöser für den Estrela-Bericht war ein Grundsatzurteil des EuGHs zur jetzt unionsweit geltenden Definition des Ausdrucks „menschlicher Embryo“: „Der Mensch ist ab der Befruchtung ein Mensch“ (Urteil C-34/10 vom 18. Oktober 2011, Oliver Brüstle gegen Greenpeace e.V.), und die Europäische Bürgerinitiative „Einer von Uns“. Der Estrela-Bericht wurde nach einer intensiven mehrmonatigen Mobilisierung abgelehnt. Stattdessen nahm das EU-Parlament eine Entschließung an, in der die alleinige Verantwortung der EU-Mitgliedstaaten für so wichtige Fragen wie Abtreibung festgeschrieben wurde. Und das ist auch richtig so.

Der Entwurf der jetzigen Entschließung wurde vom kroatischen Sozialdemokraten Predrag Fred MATIĆ vorgelegt und ist nichts anderes als eine Kopie des bereits abgelehnten Estrela-Berichts von 2014. Es handelt sich um die Errichtung eines Grundrechts auf Abtreibung in der Europäischen Union, ummantelt und getarnt von vielen anderen gutgemeinten Vorschlägen.

Der Schutz und die Verbesserung der vorgeburtlichen Gesundheit von Müttern und Kindern, wie sie die medizinischen Standards der Weltgesundheitsorganisation vorschreiben, hat oberste Priorität. Aber darum geht es in dem Vorhaben nicht. Der Begriff „sexuelle und reproduktive Gesundheit und damit verbundene Rechte“ ist eine Worthülse, um Abtreibung menschlicher Embryonen zu legitimieren. Dafür mobilisieren Abtreibungsbefürworter im EU-Parlament auch zahlreiche Nichtregierungsorganisationen, die Abtreibung als Mittel der Geburtenkontrolle nicht ausschließen oder gar fördern und die maßgeblich von der EU-Kommission finanziell unterstützt werden.

Zum jetzigen Entschließungsantrag wurden im zuständigen Ausschuss 503 Änderungsanträge eingereicht – ein Rekord. Die kosmetischen Änderungen kommen von den Christdemokraten von CDU/CSU und ÖVP. Die substantiellen Änderungsanträge zum Schutz des Rechts auf Leben im Mutterleib und für den Respekt des Subsidiaritätsprinzips in der EU wurden hingegen von den EU-Abgeordneten der AfD und der FPÖ eingereicht. Das ist nicht verwunderlich: Die Christdemokraten lassen sich nämlich bei diesen wichtigen Verhandlungen ausgerechnet von der irischen Abgeordneten Frances FITZGERALD vertreten, die eine führende Lobbyistin für die Liberalisierung von Abtreibung in Irland ist.

Deswegen bitte ich Sie, jetzt tätig zu werden und bei den Mitgliedern des Frauenausschusses des EU-Parlaments vorzusprechen, um zunächst die Abstimmungen im Ausschuss und somit auch im Plenum auf einen Zeitpunkt nach der Sommerpause zu vertagen. Damit bleibt die Möglichkeit des Informationsaustausches mit gesellschaftlich relevanten Gruppen und Experten zu dieser überaus wichtigen Thematik zeitlich länger erhalten, was aufgrund der besonderen Umstände rund um Covid-19 sehr wünschenswert ist. So haben auch jene Mitglieder des EU-Parlaments, die nicht im Frauenausschuss vertreten sind, die Möglichkeit, sich ausreichend über die Auswirkungen ihres Abstimmungsverhaltens zu informieren. Wenn die zeitliche Verschiebung nicht gewünscht ist, dann sollte die jetzige Vorlage abgelehnt werden.

Ich übermittle Ihnen anbei den Berichtsentwurf und die Dossiers der 503 Änderungsanträge sowie die Verlinkung zu den Kontaktdaten der Mitglieder des Frauenausschusses des EU-Parlaments.

Bitte zögern Sie nicht, in Ihren öffentlichen Stellungnahmen auf diese für Europa gefährliche Situation einzugehen. Mit einem Grundrecht auf Abtreibung schafft man keine lebendige Zukunft. Und es ist unsere Aufgabe als Christen, den Schwächsten der Gesellschaft eine Stimme zu geben.

Mit einem herzlichen Vergelt’s Gott für Ihre wichtige Unterstützung und mit verbindlichen Grüßen, Ihr

Joachim KUHS, MdEP
Abgeordneter des Parlaments der Europäischen Union
Co-Vorsitzender der Intergroup on Freedom of Religion or Belief and Religious Tolerance
Co-Bundesvorsitzender der Christen in der Alternative für Deutschland

Beilagen:
ursprünglicher Berichtsentwurf (Stand: 27.10.2020):
https://www.europarl.europa.eu/doceo/document/FEMM-PR-660070_DE.pdf

Dossiers mit Änderungsanträgen:
https://www.europarl.europa.eu/doceo/document/FEMM-AM-662044_DE.pdf
https://www.europarl.europa.eu/doceo/document/FEMM-AM-662097_DE.pdf

beschlossener Bericht im FEMM-Ausschuss (Stand: 21.05.2021):
https://www.europarl.europa.eu/doceo/document/A-9-2021-0169_DE.html

Hearing on “Foreign interference on the financing of anti-choice organisations in the EU”:
https://multimedia.europarl.europa.eu/en/femm-inge_20210325-1545-COMMITTEE-FEMM-INGE_vd

Mitgliederliste FEMM-Ausschuss:
https://www.europarl.europa.eu/meps/de/search/advanced?name=&groupCode=&countryCode=&bodyType=COM&bodyCode=FEMM

weitere Informationen:
https://www.patriotpetition.org/2021/04/14/abtreibung-ist-mord-niemals-ein-menschenrecht/