Liebe Mitbürger, liebe Freunde,

voraussichtlich ein letztes Mal wende ich mich mit einer Videobotschaft aus dem EU-Parlament an Sie. Meine Umzugskisten sind gepackt, das Büro geräumt, in einem Monat beginnen die neugewählten EU-Abgeordneten ihre Arbeit. Schon jetzt wünsche ich den Kollegen alles Gute und Gottes Segen.

Als ich vor fünf Jahren hier angefangen habe, hätte ich mir nie träumen lassen, dass das Thema eines meiner letzten Videos die drohende Kriegsgefahr in Europa sein wird. Ja, liebe Mitbürger, das ist kein böser Traum, sondern traurige Wahrheit: Wir stehen an der Schwelle eines Krieges.

Der russisch-ukrainische Konflikt droht, zu einem Flächenbrand zu werden. Und man hat den Eindruck, die führenden Politiker des Westens wollen diesen Brand erst recht anheizen. Sicher, der Angriff Russlands auf die Ukraine im Februar 2022 war und ist zu verurteilen. In der internationalen Politik geht es aber auch darum, Realitäten anzuerkennen, unabhängig von deren moralischer Bewertung.

Zu diesen Realitäten gehört, dass Putin zwar ukrainisches Territorium besetzt, aber seine Maximalziele nicht erreicht hat: die Eroberung Kiews und die Einsetzung einer russlandfreundlichen Regierung in der Ukraine. Zu diesen Realitäten gehört auch, dass sowohl Moskau als auch Kiew nach nur wenigen Kriegswochen im März 2022 zur Friedensverhandlungen bereit waren.

Ich weiß noch, wie glücklich ich war, als der türkische Botschafter unsere Fraktion in Brüssel am 29. März 2022 über die Verhandlungen in Istanbul informiert hat. Frieden schien in greifbarer Nähe zu sein. Umso enttäuschter war ich, als die Sache scheinbar im Sande verlief und regelrecht entsetzt war ich, als ich erfuhr, dass der britische Premier Boris Johnson den ukrainischen Präsidenten Selenski überzeugt hatte, den Krieg weiter zu führen.

Hunderttausende von Ukrainern und Russen sind seither gestorben. Wofür? Weder hat Russland nennenswerte Geländegewinne gemacht, noch konnte die Ukraine das russisch besetzte Territorium in großem Stil zurückerobern. Und dennoch pocht der Westen auf den vollständigen Abzug der russischen Truppen und ermutigt Präsident Selenski weiterhin, ukrainische Soldaten an die Front und in den Tod zu schicken.

Mehr noch. Unsere Politiker und Medien beginnen, uns auf den Krieg einzustimmen. Deutschland müsse kriegsfähig werden, tönt Minister Boris Pistorius. Man beachte die Wortwahl: kriegsfähig, nicht verteidigungsfähig! Im Zuge der Wiederbewaffnung nach dem Zweiten Weltkrieg war es Konsens, dass Deutschland zwar das Recht habe, sich im Falle eines Angriffs zu verteidigen, dass aber niemals wieder Krieg von deutschem Boden ausgehen dürfe. Haben wir denn wirklich nichts aus unserer Geschichte gelernt?

Der jüngste sogenannte Friedensgipfel in der Schweiz war ebenso Augenwischerei, wie die Wiederaufbaukonferenz in Berlin. De facto geht es darum, die Ukraine zum Weiterkämpfen anzuhalten und ihr Hoffnung zu machen, der Westen werde seine Unterstützung immer mehr ausweiten.

Wollen wir tatsächlich den ukrainischen Männern, die sich derzeit in Deutschland aufhalten, in die Augen sehen und sagen, sie sollten schnellstmöglich an die Front, um für westliche Werte zu kämpfen? Wollen wir demnächst unsere Kinder und Enkel im Krieg sterben sehen?

Liebe Mitbürger, die ersten Christen haben sich stets um Frieden bemüht. Als die judäische Partei der Zeloten den offenen Kampf mit den Römern suchte, hat sich die judenchristliche Gemeinde aus Jerusalem ins Ostjordanland zurückgezogen. Eine kluge Entscheidung. Am Ende des schrecklichen Krieges von 66 bis 73 nach Christus war nämlich ein Drittel der Bevölkerung Judas tot und der Tempel zerstört. Was nützt da der Anspruch, moralisch im Recht gewesen zu sein?

Der biblische Jakobusbrief antwortet auf die Frage, woher der Krieg kommt sehr deutlich: „Aus euren Gelüsten, die da streiten in euren Gliedern? Ihr seid begierig und erlangt’s nicht; ihr mordet und neidet und gewinnt nichts; ihr streitet und kämpft; ihr habt nichts, weil ihr nicht bittet; ihr bittet und empfangt’s nicht, weil ihr in übler Absicht bittet, nämlich damit ihr’s für eure Gelüste vergeuden könnt.“ (Jak 4,1b-4)

Damit ist auch die Frage beantwortet, wie wir Frieden halten können. Indem wir das Gegenteil dessen tun, was der Jakobusbrief anprangert.

Dies ist meine letzte Botschaft hier aus Brüssel, mein letzter Appell als EU-Abgeordneter: Frieden ist möglich. Frieden braucht Friedensstifter, Menschen, die sich um den Frieden bemühen. Seien wir solche Menschen des Friedens! Werden wir dem ähnlich, der in der Weihnachtsbotschaft als Friedefürst bezeichnet wird, der allein Frieden schaffen kann.

Darum bete ich, und das wünsche ich Ihnen von Herzen!

Ihr

Joachim Kuhs