Liebe Mitbürger,

Ihnen und Ihren Familien ein fröhliches und gesegnetes Pfingstfest! Wir feiern am heutigen Sonntag die Herabkunft des Heiligen Geistes auf die Apostel und die mit ihnen versammelten Jünger. Seit jenem ersten Pfingsttag wird die Frohe Botschaft von Jerusalem ausgehend der ganzen Welt verkündet.

In der Apostelgeschichte lesen wir: „Und es geschah plötzlich ein Brausen vom Himmel wie von einem gewaltigen Sturm und erfüllte das ganze Haus, in dem sie saßen. Und es erschienen ihnen Zungen, zerteilt und wie von Feuer, und setzten sich auf einen jeden von ihnen, und sie wurden alle erfüllt von dem Heiligen Geist und fingen an zu predigen in andern Sprachen, wie der Geist ihnen zu reden eingab. Als nun dieses Brausen geschah, kam die Menge zusammen und wurde verstört, denn ein jeder hörte sie in seiner eigenen Sprache reden. Sie entsetzten sich aber, verwunderten sich und sprachen: Siehe, sind nicht diese alle, die da reden, Galiläer? Wie hören wir sie denn ein jeder in seiner Muttersprache?“ (Apg 2, 2-8)

Dies zeigt, was Einheit in christlichem Sinn bedeutet. Und es kann uns zeigen, wie wir die Einheit Europas und Völkerverständigung auf der einen und eine legitime Vielfalt auf der anderen Seite verstehen sollten.

Das Gegenbild dazu ist der Turmbau zu Babel (Genesis 11, 1-9). Die babylonische Einheit ist Uniformität. Alle sprechen eine Einheitssprache. Alle stehen unter der Zwangsherrschaft eines Einheitsstaates, der mit rein menschlich-technologischen Mitteln den Himmel erobern will. Das Ergebnis ist eine Katastrophe: Das wahnwitzige Vorhaben scheitert auf der ganzen Linie, kein Mensch versteht mehr den andern, die Himmelsstürmer werden über die Erde zerstreut. Nicht grundlos erinnert das Gebäude des EU-Parlaments in Straßburg an das berühmte Gemälde von Pieter Bruegel über den Turmbau zu Babel.

Pfingsten ist gewissermaßen das Anti-Babel. An Pfingsten gibt es keine Uniformität. Die Einheit von Pfingsten ist eine ganz andere: Der eine Gott, will dass alle Menschen und Völker die eine Botschaft vom Heil hören. Er will sie alle unter seinem Dach sammeln. Aber: Jeder hört sie in seiner eigenen Sprache, die kulturellen Unterschiede zwischen den Völkern werden nicht zerstört, die Menschen werden nicht zur Uniformität zusammengezwungen. Und: Die Jünger lassen den Geist Gottes wirken. Nicht ein menschlicher Masterplan sondern die freie Mitarbeit an Gottes Heilswerk liegt der Ausbreitung des Evangeliums zugrunde.

Für Europa, für die EU stehen wir an einem Scheideweg: Soll das Modell „Babylonischer Turmbau“ maßgebend sein? Ein uniformer Staat, der zunehmend nur noch einen immer enger werdenden Meinungskorridor duldet? Die Einebnung nationaler und kultureller Unterschiede? Die immer stärkere digitale Überwachung und Kontrolle der Menschen? Technologie bis hin zur Verschmelzung von Mensch und Maschine als Weg zur Unsterblichkeit?

Oder wollen wir uns an Pfingsten orientieren? Wollen wir ein Europa der Vaterländer? In welchem jeder seine Vorzüge und Macken behalten darf? In dem echte Vielfalt und Pluralität gepflegt wird? Das sich bewusst ist, dass seine Wurzeln in Rom, Athen und Jerusalem liegen? In dem Meinungs- und Religionsfreiheit gilt? Das die Grenzen menschlichen Tuns kennt und weiß, dass alle Versuche, das Paradies auf Erden zu errichten, zum Scheitern verurteilt sind?

Meine Antwort auf diese Fragen kennen Sie. Lassen wir den Heiligen Geist wirken!

Herzliche Grüße,

Ihr

Joachim Kuhs