Liebe Mitbürger,
die Wiedervereinigung unseres Vaterlandes ist Anlass zu Freude und Dankbarkeit. Was nach 33 Jahren oft als Selbstverständlichkeit betrachtet wird, war das Verdienst einer Volksbewegung in der damaligen DDR und einer Politik, die während eines kurzen Moments der Geschichte tatsächlich deutsche Interessen verfolgt hat. Dies muss viel mehr gewürdigt werden. Ob der 3. Oktober dafür das richtige Datum ist, darf mit Fug und Recht bezweifelt werden.
Rückblick in die 1980er Jahre: Wer im Westen von der Möglichkeit einer deutschen Einheit sprach, gar deren Vollzug als politisches Ziel einforderte, wurde von den intellektuellen BRD-Eliten bestenfalls belächelt, schlimmstenfalls als „Kalter Krieger“, „Nationalist“ oder Schlimmeres beschimpft. Was haben sie uns mit wohlformulierten hochgescheit klingenden Argumenten zu überzeugen versucht, dass eine Wiedervereinigung ganz und gar unmöglich sei! Und dann kam das Volk der DDR. Es ging einfach auf die Straße, fegte auf friedlichem Wege das verbrecherische kommunistische Regime hinweg und skandierte erst: „Wir sind DAS Volk“ und kurz darauf „Wir sind EIN Volk“.
Das hat ihm die linksliberale Elite nie verziehen. Die Kränkung, von der Geschichte nicht nur widerlegt, sondern regelrecht bis auf die Knochen blamiert worden zu sein, wurde nie überwunden. Die bis heute anhaltende Verachtung gegenüber den Ostdeutschen rührt vor allem daher. Die Unbefangenheit, mit der sich – angesteckt von ihren Landsleuten aus dem Osten – auch die Westdeutschen in jener Zeit nationaler Symbole bedienten und plötzlich an der eigenen Nation Freude empfanden, war ein Alarmsignal für die Eliten.
Es bleibt Helmut Kohls großes Verdienst, jenes kurze Zeitfenster 1989/90 genutzt und die deutsche Einheit unter Dach und Fach gebracht zu haben. Es ist sein großes Versäumnis, den patriotischen Schwung jener Monate nicht in die folgenden Jahre weiter getragen zu haben, sondern die Einheit lediglich als bürokratisch-fiskalisches Problem und nur als Zwischenetappe zu einer Auflösung der Nation in einem „vereinten Europa“ gesehen zu haben.
In gewissem Sinne steht auch das Datum des 3. Oktober für diese bürokratische Abwicklung der deutschen Einheit. Als Tag nach der KSZE-Außenministerkonferenz und wenige Tage vor dem spätmöglichen Termin zur Erstellung von Wählerverzeichnisse für die erste gesamtdeutsche Bundestagswahl, bot sich dieses Datum als Termin für den Beitritt der fünf ostdeutschen Bundesländer zur Bundesrepublik Deutschland an. Emotionsloser geht es kaum.
Daher sollten wir über eine Verlegung unseres Nationalfeiertags nachdenken. Als Termine bieten sich der 9. November oder der 17. Juni an. Beides sind Würdigungen des Souveräns unseres Staates, des Volkes.
Niemand, der die Bilder der fröhlichen, feiernden Menschen an den Grenzübergängen und auf der Berliner Mauer in der Nacht vom 9. auf den 10. November 1989 gesehen hat oder sogar selbst dabei war, wird diese Momente je vergessen. Das Volk ließ sich nicht länger einsperren, nicht länger von der Regierung gängeln, es nahm sich einfach, was ihm von Rechts wegen zustand. Es ist diese Nacht voller Emotionen, die es verdient hätte, als Nationalfeiertag, als wahrer Tag der Deutschen Einheit gewürdigt zu werden.
Freilich ist dieses Datum auch durch die abscheulichen Judenpogrome im Jahr 1938 belastet. Als Alternative böte sich der 17. Juni an, Tag des Volksaufstands in der „DDR“. Auch an diesem Tag ging das Volk auf die Straßen, um gegen die Ungerechtigkeit des kommunistischen Regimes zu protestieren, nur unter Zuhilfenahme der sowjetischen Besatzungstruppen konnte die Regierung die Proteste niederschlagen. Dass die alte Bundesrepublik diesen Tag als Nationalfeiertag auserkoren hat, war damals eine Verneigung vor dem Opfer ihrer Landsleute in der „DDR“ und ein Zeichen der Verbundenheit mit ihnen.
Beide Daten – der 9. November und der 17. Juni – wären eine Würdigung der Deutschen im Osten, beide wären eine Erinnerung daran, dass das Volk der Souverän ist, beide wären eine Ermahnung an jeden Politiker, nicht gegen den Volkswillen zu regieren. Beide hätten vor allem eine hohe emotionale Bedeutung.
Ja, man kann sich jeden Tag und auch am 3. Oktober über die Deutsche Einheit freuen und das werde ich heute gewiss tun. Doch eine Verlegung des Nationalfeiertags würde die emotionale Bindung der Deutschen an diesen Tag und das Bewusstsein, eine einige und freie Nation zu sein, bedeutend stärken. Daher sollte ernsthaft über eine solche Verlegung nachgedacht werden.
In Dankbarkeit gegenüber den mutigen Mitbürgern im Osten grüße ich sie herzlich
Ihr
Joachim Kuhs