Liebe Mitbürger,

Frieden und Sicherheit sind Ur-Sehnsüchte des Menschen. Die allermeisten von uns dürften die Frage, ob sie vor äußeren Gefahren geschützt und in Sicherheit leben wollen, bejahen. Die Mythen vieler Kulturen – in Europa beispielsweise die griechisch-römische, aber auch die nordische – kennen eine Art „Goldenes Zeitalter“, welches diese Sehnsüchte widerspiegelt. In der jüdisch-christlichen Tradition ist es der Garten Eden, den der Mensch aus eigener Schuld verloren hat.

Dieses verlorene Glück zumindest teilweise wiederzugewinnen, ist das Idealziel menschlichen Strebens auch in der Politik. Die Bibel berichtet vom Zeitalter des Königs Salomo als einer Periode, in welcher man diesem Ziel sehr nahe gekommen war, und dass unter seiner Regentschaft „Juda und Israel sicher wohnten, jeder unter seinem Weinstock und unter seinem Feigenbaum“ (1Kön 5,5). Dieses schöne Bild steht in Kontrast zu den „Dornen und Disteln“ und dem Brot, das der Mensch „im Schweiße des Angesichts“ essen muss (vgl. 1Mose 3,17-19), nachdem er aus dem Paradies vertrieben wurde.

Dieses Bild drückt auch aus, dass Friede mit einem gewissen Maß an Wohlstand, vor allem aber mit Freiheit verbunden ist. Denn Jeder sitzt unter SEINEM Weinstock und SEINEM Feigenbaum, darf also die Früchte seiner Arbeit und seines Eigentums genießen. Es ist nicht der König – modern gesprochen der Staat – der einen Kollektivbesitz verwaltet und jedem etwas davon zuteilt; er schafft durch eine gerechte und sichere Ordnung lediglich den Rahmen, in dem Arbeit, Erwerb und Genuss nach dem freien Willen jedes Einzelnen möglich sind. Sicherheit darf auch nicht auf Kosten der Freiheit gehen. Permanente Kontrolle oder Einschüchterung zur Aufrechterhaltung von Ordnung und Sicherheit ist nichts weiter als eine bösartige Karikatur des inneren Friedens. Eine echte Friedensordnung respektiert die Freiheit des Einzelnen, wie auch die Freiheit der Völker.

Voraussetzung dafür ist eine weise Regentschaft, wie sie die Bibel am Beispiel Salomons (zumindest in seinen frühen und mittleren Jahren) verwirklicht sieht. Voraussetzung für eine solche Regentschaft ist wiederum, dass Salomo über ein „hörendes“ – bzw. je nach Übersetzung ein „gehorsames“ – Herz verfügt, sodass er als Herrscher das „Volk richten könne und verstehen, was gut und böse ist“. (vgl. 1Kön 2,9)

Eine Friedensordnung ist also abhängig von Gerechtigkeit, welche nicht einfach nur einem Konsens oder Kompromiss sondern der Natur des Menschen entspringt. Der Staat kann dieses grundlegende Recht nicht von sich aus setzen, er findet es als gegeben vor. Er legt Gut und Böse nicht selbst fest, sondern er „versteht, was gut und böse ist“. Wenn wir eine stabile Friedensordnung wollen, so müssen wir dem unveräußerlichen, jedem Menschen zustehenden Naturrecht wieder zur Geltung verhelfen. Dass Ideologien, welche nicht nur das Naturrecht, sondern sogar die Natur des Menschen selbst leugnen, weder Frieden noch Sicherheit noch Gerechtigkeit hervorbringen können, versteht sich von selbst.

Wir sehen also, dass Frieden weit mehr ist, als das Schweigen der Waffen. Doch natürlich ist die Abwesenheit von Krieg die notwendige Grundlage dafür. Europa war im Laufe der Jahrhunderte Schauplatz für fürchterliche Kriege. Und gleichzeitig haben die Staatsmänner immer wieder um Frieden gerungen – mit zumindest temporärem Erfolg. Stets waren diese Bemühungen vom Bewusstsein einer europäischen Zusammengehörigkeit getragen. Das Wissen um das gemeinsame antike und christliche Erbe war bei jeder Bemühung um Frieden präsent.

Die Gründerväter der Europäischen Gemeinschaft, aus der später die Europäische Union hervorging waren sich dessen nach der Katastrophe des Zweiten Weltkriegs durchaus bewusst. Ihr Streben nach einer friedlichen Koexistenz der europäischen Völker war zutiefst geprägt von christlichem Geist. Wer glaubt, sich von dieser geistigen Basis des europäischen Einigungsprozesses trennen zu können, wie von einem aus der Mode gekommenen Kleidungsstück, entzieht der europäischen Friedensordnung das Fundament. Frieden ohne Gott ist auf Sand gebaut!

Freilich wäre die Vorstellung naiv, dass Frieden ohne eine gewisse Wehrhaftigkeit möglich sei. Der oben erwähnte Friedenskönig Salomo hat beispielsweise Städte an den Grenzen seines Reiches gebaut oder befestigt, um gegen Angriffe von außen gewappnet zu sein. Gleichzeitig hat er Handel mit der ganzen damals bekannten Welt getrieben und Gesandtschaften ferner Länder gastfreundlich empfangen. Auch eine europäische Friedensordnung wird nicht ohne den Schutz vor potentiellen äußeren Gefahren auskommen können.

Wir wollen ein wehrhaftes Europa, das – unter der Berücksichtigung der Souveränität seiner Staaten – sich im Notfall auch gemeinsam verteidigen kann. Keine „Festung Europa“, wie es mitunter polemisch heißt, sondern ein gastfreundliches Haus, in dem für alle gewisse Regeln gelten und dessen Bewohner selbst entscheiden können, wem und wann die Türen offen stehen und wann sie geschlossen werden und ebenso, welche Gäste gegebenenfalls auch wieder hinauskomplimentiert werden.

 

Wir wollen friedlich Handel treiben mit der ganzen Welt aber unsere Interessen auch nachdrücklich verteidigen, wo es nötig ist. Wir wollen uns nicht zu einem Spielball fremder Mächte machen lassen und uns nicht in Interessenkonflikte anderer einmischen, wie wir auch uns verbitten, dass sich andere in unsere Angelegenheiten mischen.

 

Vor allem aber wollen wir europäische Völker und Staaten untereinander Frieden halten. Lasst uns dafür arbeiten, lasst uns vor allen Dingen nie vergessen, was die Grundlagen des Friedens sind. Und dass bei der Geburt Christi, die wir bald feiern dürfen, dem Wunsch der Engel nach „Frieden auf Erden“ das „Ehre sei Gott in der Höhe“ vorangegangen ist.

 

Mit den besten Wünschen und Grüßen

Ihr

Joachim Kuhs